Digitalisierung, Flexibilität, Netze, Positionspapiere, Stellungnahmen & Positionspapiere, Veröffentlichungen
03.09.2025

Positionspapier: Flexibilität, Digitalisierung und Wettbewerb

Berlin, August 2025. Die Energiewende ist in Deutschland ein gesamtgesellschaftliches und technologisches Transformationsprojekt, das nur gelingen kann, wenn die zentralen Anforderungen miteinander verknüpft gedacht und entschlossen umgesetzt werden. Flexibilität, Digitalisierung und Wettbewerb sind keine isolierten Bausteine, sondern bedingen sich gegenseitig. Erst dieses Zusammenspiel ermöglicht ein sicheres, effizientes und kundenfreundliches Energiesystem.

Zweifellos ist der intelligenter Messsysteme (iMSys) in seiner bisher geplanten Form ein ambitioniertes Infrastrukturprojekt. Bis zu dessen Beendigung müssen rund 50 Mio. Messstellen digitalisiert werden. Zusätzlicher Druck kommt durch verschiedene Zielvorgaben, etwa die Pflichteinbauquote im MsbG oder die Mindestdigitalisierungsquote nach der 14a-Festlegung der Bundesnetzagentur. Dazu kommen Kundenwünsche nach freiwilligen Ausstattungen.

Grundzuständige Messstellenbetreiber (gMSB) haben in der Branchenbefragung, welche die Grundlage für den Digitalisierungsbericht nach § 48 MsbG bildet, bereits ausgesagt, dass sie nicht in der Lage sein werden, wirtschaftlich auskömmlich ihren Rollout-Pflichten nachkommen werden können. Ohne Skaleneffekte wird der Messstellenbetrieb, gerade für kleine gMSB, nicht wirtschaftlich darstellbar sein. Es ist folglich nur eine Frage der Zeit, bis ein großer Teil der gMSB aufgeben muss. Der Flickenteppich aus rund 850 MSB ist volkswirtschaftlich teuer, verhindert die Digitalisierung und wird somit zum Systemrisiko. Der richtige Weg sind Kooperationen und gemeinsame Dienstleister. Nicht zuletzt die BNetzA muss hier mit dem guten Ansatz der Ertüchtigung zur Energiewendekompetenz mittels ihrer Regulierungsarbeit in diese Richtung fordernd und fördernd zur Seite stehen.

Flexibilität und erneuerbare Energien – zwei Seiten einer Medaille

Der weitere Zubau von erneuerbaren Energien ist unerlässlich für das Erreichen von Klimaneutralität. Doch ohne Flexibilität bleibt der Wert dieser Erzeugungspotenziale begrenzt. PV-Anlagen, Wärmepumpen, Batteriespeicher und Wallboxen müssen flexibel agieren können, um ihre volle Wirksamkeit im Energiesystem zu entfalten. Flexibilität wiederum benötigt verlässliche, sichere und datengestützte Steuerung – sie ist damit ohne Digitalisierung schlicht nicht denkbar.

Der Ausbau und die Nutzung intelligenter Infrastrukturen wie Smart Meter Gateways, digitaler Steuerungssysteme sowie automatisierter Echtzeitprozesse sind daher keine Option, sondern Voraussetzung für ein stabiles Energiesystem unter Bedingungen volatiler Erzeugung. Die Digitalisierung ist damit die Grundlage für die Flexibilisierung und die Flexibilisierung wiederum der Hebel für Systemkostenreduktion und Netzstabilität.

Der Blindflug in den Verteilnetzen – ein wachsendes Risiko

Während der größte Teil der Energiewende im Verteilnetz stattfindet, herrscht ausgerechnet hier der größte Mangel an Digitalisierung und Transparenz. Viele Verteilnetzbetreiber wissen schlicht nicht, wie ihre Netzsituation aussieht – weder auf der Einspeise- noch auf der Verbrauchsseite. Die daraus resultierende Unkenntnis verhindert sowohl eine fundierte Netzplanung als auch eine belastbare Aussagefähigkeit bei Netzanschlussprozessen.

Ohne valide Mess- und Steuerinformationen bleibt der Netzbetrieb in vielen Bereichen reaktiv, pauschal und ineffizient. Dies führt nicht nur zu steigenden Redispatchkosten, sondern zunehmend auch zu einem realen Sicherheitsrisiko für die Systemstabilität. Die Digitalisierung der Verteilnetze ist daher kein „Nice-to-have“, sondern eine sicherheits- und versorgungsrelevante Aufgabe ersten Ranges.

Der eingeschlagene Weg ist zu teuer und zu komplex – es braucht Vereinfachung und Entbürokratisierung

Der deutsche Smart-Meter-Rollout gemäß MsbG ist überreguliert, überkompliziert und unterperformant. Mit einem iMSys-Anteil von lediglich 2,8 Prozent an allen Messlokationen (Bundesnetzagentur-Monitoring, Stand 31.03.2025) ist das bisherige System im Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlich verzögert. Die Gründe hierfür sind vielfältig: zu hohe technische Komplexität, überzogene Zertifizierungshürden, fehlende Skaleneffekte, aber vor allem auch eine Marktstruktur, die Wettbewerb und Innovation verhindert.

Dabei müsste Digitalisierung vor allem drei Voraussetzungen schaffen: Prozesse vereinfachen, Kosten senken und neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Dafür braucht es eine Differenzierung der Anwendungsfälle: Nicht jeder Anwendungsfall erfordert ein hochsicheres, breit zertifiziertes intelligentes Messsystem. Bei reinen Abrechnungsfällen (dynamischer) Tarife reicht ein fernablesbarer Zähler mit moderatem Funktionsumfang vollkommen aus – alles andere treibt Kosten ohne Mehrwert. Der bne fordert daher eine grundlegende Entbürokratisierung des MsbG, klare Anwendungslogiken und eine konsequent pragmatische Architektur der Systemlandschaft.

Zwei Anwendungen, zwei Lösungen – differenzierter Ausstattungsbedarf bei Messsystemen

Die Praxis zeigt, dass eine technologische Einheitslösung ineffizient ist. Es braucht eine grundlegende Unterscheidung zwischen zwei maßgeblichen Anwendungsfällen:

  • Energiewenderelevante Anlagen mit Steuerbedarf (Pflichteinbaufälle)
    Für steuerbare Verbraucher und Einspeiser – darunter §14a-Lasten, PV-Anlage >7kWp, sonstige hohe Flexibilitäten – ist zwingend eine Ausstattung mit intelligenten Messsystemen erforderlich. Diese Systeme müssen nicht nur hochfrequent messen, sondern auch verschlüsselte Steuerbefehle empfangen, verarbeiten können und über Netzbetreiber ansteuerbar sein. Gerade der letzte Aspekt verlangt einen hohen Grad an Standardisierung aufgrund der hohen Anzahl verschiedener VNB. Die Anforderungen an die Systemstabilität sind hier hoch – ein iMSys ist gerechtfertigt und nötig.

  • Verbrauchsbasierte Tarifierung ohne Steuerbedarf (freiwilliger Einbaufall)
    Für Endkunden, die keine Steuerungsfunktion benötigen (keine §14a-Lasten, keine PV-Anlage >7kWp, keine hohe Flexibilität), jedoch die Nutzung variabler Stromtarife anstreben, genügt ein einfacher smarter Zähler. Entscheidend sind hier die viertelstündliche Erfassung und Übertragung der Messwerte – mehr braucht es nicht. Fernablesbare moderne Messeinrichtungen (mME) mit TAF7-Funktionalität, beispielsweise über eine einfache LPWAN-Schnittstelle, können dies bereits heute leisten. Die Hardware wäre dadurch kostengünstiger und schneller installierbar. Der Einsatz von iMSys hingegen wäre in diesen wenig komplexen Fällen technisch überdimensioniert und wirtschaftlich ineffizient.

Wettbewerb als Motor der Digitalisierung – VNB und gMSB bremsen Innovationen aus

Wettbewerbliche Messstellenbetreiber (wMSB) sind zentrale Treiber der Digitalisierung und der Energiewende in Deutschland. Sie ermöglichen einen zügigen Smart-Meter-Rollout, schaffen Innovationen und bieten Kunden flexible, marktorientierte Lösungen. Die Rolle der wMSB ist entscheidend für einen erfolgreichen, skalierbaren und kundenorientierten Rollout digitaler Infrastruktur. Allerdings wird dieser Wettbewerb systematisch behindert – durch Marktstrukturen, in denen die gMSB, meist identisch mit den VNB, gegenüber ihren Wettbewerbern bevorzugt agieren können. Der „Bock wird zum Gärtner“ gemacht: VNB überwachen als gMSB die Tätigkeit der wMSB, obwohl sie in wirtschaftlicher Konkurrenz stehen.

Diese strukturellen Interessenkonflikte führen zu massiver Marktverzerrung: Während wMSB bei kleinsten Fehlern sanktioniert werden, bleiben Verstöße der gMSB oft folgenlos. Hinzu kommt der massive Kommunikationsaufwand – wMSB müssen mit rund 900 VNBs interagieren, oft ohne standardisierte Schnittstellen. Die Potenziale des Wettbewerbs können jedoch ausgeschöpft werden, wenn die regulatorischen, prozessualen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden. Im Positionspapier Wettbewerb als Treiber der Digitalisierung adressiert der bne die zentralen Hemmnisse für wMSB.

Fazit

Das Energiesystem der Zukunft braucht keine noch komplexeren Detailvorgaben, sondern einfache, digitalisierte, marktgerechte Strukturen. Die Grundprinzipien sind eindeutig:

  • Digitalisierung schafft Sichtbarkeit, Steuerbarkeit und Abrechenbarkeit – unerlässlich für Erneuerbare und Flexibilität.
  • Wettbewerb bringt Innovationskraft, niedrigere Kosten und Kundenzentrierung – unerlässlich für die Akzeptanz.
  • Entbürokratisierung ermöglicht Skalierung und Effizienz – unerlässlich für Tempo und Wirtschaftlichkeit.

Der bne fordert deshalb eine Entschlackung der Messstellenmarkts, klare Anwendungslogiken, diskriminierungsfreie Marktstrukturen und vollen Wettbewerbszugang. Nur so kann die Digitalisierung der Energiewende gelingen – und damit auch ihr Erfolg als Ganzes.

Der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne)

Der bne ist die schlagkräftige Interessenvertretung für die wettbewerbliche neue Energiewirt-schaft. Im Unterschied zu Anbietern mit verbundenem Netz sind unsere Mitglieder frei von Monopolinteressen: Sie kämpfen für fairen Wettbewerb, Vielfalt und Fairness im Energiemarkt. Der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne) ist im Lobbyregister des Deutschen Bundes-tags unter der Registrierungsnummer R001011 eingetragen.


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Lars Petereit

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